Die Straße der Zukunft

Straßenflächen bieten bei einer systemübergreifenden Gestaltung eine Vielzahl an Potenzialen, z. B. die Speicherung von Oberflächenwasser nach Starkregenereignissen oder auch die Energiegewinnung. Das Förderprojekt „Straße der Zukunft“ mit Reallaboren in Ludwigsburg und Erlangen soll Kommunen beim vorausschauenden und effizienten Planungs- und Umsetzungsprozess ressourceneffizienter Musterstraßen unterstützen.

Frau Mok, Herr Stroh, bitte stellen Sie uns das Projekt „Straße der Zukunft“ kurz vor.

Im Projekt „Straße der Zukunft“ möchten wir die Zukunft des Straßenraums im Quartier an der Schnittstelle von Technologieinnovation, Flächenverteilung und Wirtschaftlichkeit untersuchen. Ein besonderes Augenmerk legen wir dabei auf die effiziente Nutzung und den schonenden Umgang mit den Ressourcen Fläche, Wasser, Luft und Baumaterialien. Durch die enge Zusammenarbeit von Partnern aus Forschung (Fraunhofer IAO und IGB), Privatwirtschaft (Drees & Sommer) und öffentlichen Akteuren (den Städten Ludwigsburg und Erlangen) sowie der Einbeziehung einer erweiterten Projektcommunity, möchten wir dabei einen interdisziplinären und ganzheitlichen Blick auf die oben genannten Aspekte erreichen und möglichst weit übertragbare Ergebnisse erzielen. Das Forschungsvorhaben wird im Rahmen der Initiative Ressourceneffiziente Stadtquartiere für die Zukunft (RES:Z) vom BMBF gefördert und läuft bis März 2022.

Und welche Ziele sollen damit konkret verfolgt werden?

Unser oberstes Ziel ist es, kommunale Entscheidungs- und Handlungsträger beim vorausschauenden und effizienten Planen und Umsetzen ressourceneffizienter Musterstraßen zu unterstützen. Hierzu wurden in einem ersten Schritt Einflussfaktoren und Zukunftstrends auf die Straße anhand von Szenarien ermittelt. Unter Berücksichtigung dieser sollen nun, gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung, neue und integrierte Planungs-, Umsetzungs- und Sanierungsprozesse pilotiert, neue Materialien und Lösungen erprobt sowie deren Performance und Auswirkungen gemessen werden. Dabei wird Wert auf die Entwicklung übertragbarer Vorgehensweisen sowie den Wissenstransfer zwischen deutschen Städten und Fachzielgruppen gelegt, um eine bestmögliche Vermittlung der Forschungsergebnisse zu erreichen.

Die Stadt der Zukunft sollte ressourcenschonend und energieeffizient sein. Eine große Rolle spielen dabei auch die öffentlichen Straßenräume. An welchen Stellschrauben setzt das Förderprojekt hier an?

In deutschen Städten nehmen Straßen und Verkehrsflächen etwa ein Drittel der verfügbaren Fläche ein. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass dieser Raum möglichst viele Funktionen und Bedürfnisse des öffentlichen Lebens abdecken kann. Dennoch beobachten wir, dass heutzutage Straßen oftmals nur für einzelne wenige Mobilitätsformen geplant und ausgelegt sind. Wie lassen sich also nachhaltige Mobilitätsformen und technologische Innovationen besser integrieren und fördern? Wie können naturbasierte Lösungen und grüne Infrastruktur genutzt werden, um das Mikroklima zu verbessern, die Luft zu reinigen und eine wassersensible Stadtentwicklung zu ermöglichen? Und wie können wichtige wirtschaftliche und kulturelle Aktivitäten im Straßenraum unterstützt und eine hohe Lebensqualität für alle Bevölkerungsgruppen ermöglicht werden? Multifunktionale und integrative Planungs- und Gestaltungsansätze, die solche Überlegungen aufgreifen, werden für die Zukunft eine wichtige Rolle spielen.

Das Projekt ist im April 2019 gestartet. Welche Erkenntnisse konnten Sie bis jetzt aus den Reallaboren ziehen?

Jede Straße ist unterschiedlich – und so werden auch in unseren beiden Städten, welche sich momentan in der intensiven Planungs- und Vorbereitungsphase befinden, ganz verschiedene Bedürfnisse, Funktionen und Maßnahmen für die jeweiligen Modellstraßen diskutiert. Da in Erlangen durch den Ausbau und die damit verbundene Öffnung des Siemens Campus ein deutlich erhöhtes Pendleraufkommen erwartet wird, wird hier der Fokus auf möglichst nachhaltige und integrierte Mobilitäts- und Logistiklösungen sowie die Auswirkung von Straßengestaltung auf das Nutzerverhalten gelegt. In Ludwigsburg wird vor allem der Einbau einer unterirdischen Zisterne zur Rückgewinnung von Regenwasser im Kontext der Neugestaltung einer innerstädtischen Fahrradstraße angestrebt. Auch

 spielen die Wahl und Gestaltung des Straßenbelags, eine grüne Freiflächengestaltung sowie die Aufbereitung und Nutzung von Regenwasser zur Straßenreinigung und/oder Kanalspülung eine Rolle. In beiden Städten ist die frühzeitige Einbindung und Absprache mit allen relevanten Akteuren wichtig, um die angestrebten Pilotmaßnahmen erfolgreich umsetzen zu können.

Und wie sehen die Ergebnisse konkret zum Thema Energieeinsparung hinsichtlich Verbrauch und Kosten aus?

Insgesamt spielt Energie eine wichtige Rolle bei Überlegungen zur Dimensionierung und dem Betrieb der angedachten Maßnahmen. Auch für die Planung und Koordination der Bauarbeiten sind der Energieverbrauch und die dadurch anfallenden Kosten ein wichtiger Faktor. Zu den konkreten Verbräuchen und Einsparungen können wir nach Implementierung und Evaluierung der Maßnahmen sicherlich mehr sagen. Da insgesamt eine intensivere Nutzung der jeweiligen

Straßenabschnitte erwartet wird, könnte sich der lokale Energiebedarf erst einmal erhöhen. Wichtig ist dabei jedoch, dass die jeweilig genutzte Energieform möglichst emissionsfrei und ressourcenschonend produziert wird, und die Mobilitäts-und Energiekreislaufsysteme im städtischen Gesamtsystem integriert sind.

Worauf sollte bei der Sanierung bestehender Straßenzüge – auch im Hinblick auf die Energieeffizienz – geachtet werden?

Insgesamt sollte bei der Planung und Sanierung von Straßenzügen der gesamte Lebenszyklus der anvisierten Maßnahmen betrachtet werden. Hierbei  spielt z. B. die Langlebigkeit der eingesetzten Materialien, die Dimensionierung der verschiedenen Lösungen, sowie deren Betrieb und Wartungsaufwand eine wichtige Rolle. Das Design sollte die individuellen Bedürfnisse verschiedener Nutzergruppen bestmöglich reflektieren und so gestaltet sein, dass sich Menschen

mit ihnen identifizieren, sich gerne dort aufhalten und einander begegnen können. Des Weiteren sollte die Gestaltung von Straßen und öffentliche Plätzen zu einem ressourcenschonendem Verhalten ermuntern und den verantwortungsvollen Umgang mit der Umwelt und den natürlichen Ressourcen vermitteln, bspw. durch ein attraktives Angebot für Fußgänger und Radfahrer. Da sich Anforderungen und Nutzungsformen von Straßen und öffentlichen Plätzen heutzutage schnell ändern können, ist jedoch auch eine gewisse Flexibilität der baulichen Infrastruktur und der Flächennutzung von Vorteil.

Lassen Sie uns noch einen Ausblick wagen. Wie sieht für Sie die „Straße der Zukunft“ aus?

Für uns ist die Straße der Zukunft ein bunter Ort, an dem viel Leben stattfindet und eine hohe Aufenthaltsqualität gewährleistet wird. Sie sollte ein attraktiver und für jeden zugänglicher öffentlicher Raum sein, der unsere natürlichen und kulturellen Wurzeln bewahrt und eine gute Balance zwischen den verschiedenen Anforderungen und Funktionen gewährleistet. Gleichzeitig könnte eine verbesserte Flächennutzung, z. B. durch effizientere Mobilitätslösungen, auch neue Nutzungsformen der Straße ermöglichen – wie etwa den integrierten Anbau frischer Lebensmittel in der Stadt oder das Anbieten neuer Freizeit- und Erlebnisangebote.

M.Sc. Sophie Mok, Urban Economy Innovation vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO.
Portrait Felix Stroh
M.A. Felix Stroh, Smart Urban Environments vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO.

Vielen Dank, für die interessanten Einblicke in das Projekt und die Denkanstöße, Frau Mok und Herr Stroh!

www.morgenstadt.de

Bildquellen:

Headerbild: Drees & Sommer, Straße der Zukunft

Portraits: Fraunhofer IAO

Interview aus EnEV Baupraxis Ausgabe März/April 2020